Sonntagnachmittag, regnerisch, die Strassen leer. In einem Kaffeehaus, der alte Mann steht gelassen an der Bar. Rund 80 Jahre alt, graues Haar, grauer Bart. Er trinkt Kaffee. Mit Crème und Zucker, er trinkt ihn schon immer so. Ein jüngerer Mann, Mitte vierzig, setzt sich neben ihn. Bestellt Espresso. Schwarz. Er schaut den alten Mann schräg von der Seite an, schaut dessen Kaffee an, seufzt demonstrativ.

  • Wussten Sie, dass eigentlich nur in der Schweiz Kaffee in dieser Form getrunken wird?
  • Welche Form?
  • Grosse Tasse, verwässerter Genuss. Damit diese Menge Wasser bei der Zubereitung durchfliessen kann, braucht es im Sieb eher Schottersteine als fein gemahlene Kaffeebohnen. Wie sollen sich da alle die herrlichen Aromen des Kaffees aus der Bohne lösen können? Eine Sünde ist das.

Beide schweigen.
Nach einer Weile fragt der alte Mann in den leeren Raum hinaus:

  • Aber was hat das mit der Form des Trinkens zu tun?
  • Kaffee trinken ist etwas Pures, etwas Reines. In der ganzen Welt bedeutet kultiviertes Kaffeetrinken eigentlich das, was in der Schweiz Espressotrinken bedeutet. Man trinkt die Seele des Kaffees, sein Innerstes, seine Essenz.

Wieder Ruhe.
Nach einer Weile, der Alte:

  • Ich versuche immer noch zu verstehen, wieso meine Form des Kaffeetrinkens nicht kultiviert sein soll.
  • Sie verfälschen die Werte des Kaffees, verdünnen dessen Charakter. Somit verfälschen und verdünnen Sie Ihre eigenen Werte und Ihren eigenen Charakter.

Totenstille. Beide schauen nachdenkend in die geistige Ferne. Der Regen prasselt gegen die Fensterscheiben.
Nach einer zeitlosen Ewigkeit spricht der alte Mann zur Seite:

  • Zur Konfirmation trank ich zusammen mit meinen Eltern meinen ersten Kaffee, bei meiner Hochzeit trank ich mit meiner Frau, bei der Taufe meiner Kinder trank ich mit der ganzen Familie. Ja, auch bei meiner Scheidung trank ich Kaffee; zum Henker, ich gebe es zu, dieses Mal mit meiner Freundin. Ich sage Ihnen, Kriege auf dieser Welt werden mit Wein und Schnaps begonnen, beendet werden sie mit einem gemeinsamen Kaffee der ehemaligen Feinde. Die Kultur des Kaffees hängt nicht davon ab, wie er zubereitet wird, die Kultur des Kaffees ist, ihn zusammen mit jemandem zu trinken und einander zu verstehen. DAS ist die Form des Kaffeetrinkens, hier findet sich seine Kultur wieder. Seit einer guten halben Stunde nun versuche ich, Sie zu verstehen, und erkenne mich einmal mehr tief aufgehoben in der Form und Kultur des Kaffeetrinkens.